Puh, ich muss zugeben, dass ich Vorurteile hatte, als ich angefangen habe das Buch Familie minimalistisch von Nicole Weiß zu lesen. Ich war zwar neugierig, fragte mich aber, wie das gehen soll, dass eine fremde Person mir Tipps für die Organisation des Haushalts gibt. Außerdem sehe ich den Minimalismus-Trend an sich kritisch – doch dazu später mehr. Das Buch hat mich jedenfalls sehr positiv überrascht.
Ausrümpeln als Projekt
Mit den ersten Kapiteln von Familie minimalistisch habe ich mich schwergetan. Da geht es beispielsweise darum, dass man sich zunächst darum kümmern soll, weniger Gegenstände einzukaufen. Die Autorin erklärt, wie viel Werbedruck auf uns lastet und welche psychologischen Methoden angewandt werden, um uns einzureden, dass wir dieses oder jenes unbedingt bräuchten. Da ich selbst im Marketing-Bereich arbeite, habe ich grundsätzlich ein gutes Verständnis davon, wie Druck auf die Konsumentinnen aufgebaut wird. Doch davon auszugehen, dass man diesem Druck widerstehen kann, wenn man nur erkennt, wie der Mechanismus funktioniert, ist meiner Ansicht nach nicht der richtige Weg. Ja, es ist gut, wenn man die Anhäufung von unnötigen Gegenständen vermeidet, keine Frage. Doch es ist sehr viel verlangt, auf individueller Ebene (Wocheneinkauf) übergeordnete Probleme (personalisierte Werbung) zu lösen. Meine Befürchtung ist, dass durch diese Argumentation mehr Druck auf die Leserinnen aufgebaut werden könnte.
Auch mit der Idee, mitten im Chaos zunächst einmal ein Vision-Board zu basteln, konnte ich mich nicht so recht anfreunden. Ich habe mich aber ein wenig umgehört und festgestellt, dass es eine erprobte Methode ist, sich sein Ziel (also eine aufgeräumte Wohnung) klar vor Augen zu halten. Vielen gelingt das besonders gut, wenn sie passende Bilder aufkleben und diese dann täglich ansehen. Mein Ansatz ist es eher, direkt zur Tat zu schreiten und mich dann regelmäßig darüber zu freuen, was bereits erledigt ist.
Was ich jedoch sehr interessant fand, war der Hinweis auf die eigenen Glaubenssätze. Glaubenssätze sind Gedanken und Meinungen, die man in Bezug auf ein Thema hat. Ein Beispiel aus dem Buch ist der Satz: "Man darf Geschenke nicht weiterverschenken." Dieser Glaubenssatz kann zum Beispiel eine Art Familientradition sein und führt dazu, dass man Dinge behält, die man weder mag, noch braucht. Langfristig belastet das. Nicole Weiß lädt dazu ein, sich mit solchen Glaubenssätzen auseinanderzusetzen und sie zu hinterfragen. Sie gibt dazu einige Hinweise und hilft auch dabei, die Perspektive zu wechseln. Da hatte ich beim Lesen einige Erkenntnisse über mich selbst...
Die Arbeit beginnt
Doch Familie minimalistisch ist so gestaltet, dass man sich die Bausteine und Tipps herauspicken kann, die gut passen, denn jede Idee funktioniert auch für sich genommen. Natürlich kann man – quasi Schritt für Schritt – den Kapiteln folgen und sich so zunächst mental auf das Thema einlassen, dann einen Plan machen, dann Raum für Raum vorgehen und zum Schluss noch Techniken entwickeln, mit denen man langfristig Ordnung hält.
Ich hatte ehrlich gesagt gar nicht vor, eine große Aktion zu starten. Doch das Buch hat mich davon überzeugt, dass es auch in unserer Familie unnötigen Ballast gibt, den wir abwerfen sollten.
Eine interessante Taktik, die ich aus dem Buch gelernt habe, ist die: Wenn man sich vornimmt, einen Schrank oder eine Schublade zu entrümpeln, dann muss man zunächst einmal alles herausnehmen, damit der Bereich komplett leer ist. Das erhöht zwar zunächst das Chaos, doch man macht sich einen Trick zunutze. Der Mensch (also vielmehr sein Gehirn) ist faul. Wenn alles auf dem Boden liegt, ist es mehr Arbeit, Gegenstände wieder einzuräumen, als sie zu entsorgen. Würde man nur die Gegenstände aus dem Regal nehmen, die man nicht mehr benötigt, würde man wesentlich mehr drin stehen lassen als, wenn man umgekehrt vorgeht.
Mir hat das total eingeleuchtet. Beim Lesen bin ich ganz hibbelig geworden, sodass ich sogar aus der warmen Badewanne aufgestanden bin, um die Küchenschublade zu sortieren. Das Ergebnis seht ihr hier.
Einen anderen Tipp möchte ich in den nächsten Tagen umsetzen: Chaosboxen. Jedes Familienmitglied erhält eine Box. Dort landen all die Gegenstände, die herumliegen, wie LEGO, Socken, Haargummis. Sie sind dann aus dem Weg, doch die Person, die aufräumt, musste weder jemandem etwas hinterhertragen, noch etwas entsorgen. Die Boxen werden regelmäßig geleert und der Inhalt entweder aufgeräumt, weggeworfen oder verschenkt, bzw. gespendet. Gerade mit Kindern kann ich mir so ein System sehr gut vorstellen.
Es gab auch Tipps, bei denen ich die Augenbrauen hochziehen musste: „Gerollt brauchen Handtücher weniger Platz und sorgen für Spa-Feeling.“ Für mich ist das ein Beispiel dafür, wie man Frauen alltägliche Dinge als Luxus verkauft, um davon abzulenken, wie überlastet wird sind. Ein Badezimmer ist vor allem ein Ort, an dem man Körperpflege macht. Es sollte nicht das Ziel sein, diesen Raum in ein Spa zu verwandeln und sich luxuriös zu fühlen. Wir brauchen strukturelle Entlastung – gerade in diesen herausfordernden Zeiten. Doch ich schweife ab...
Was mich sehr gefreut hat ist, dass ich feststellen musste, einige Tricks bereits selbst für mich gefunden zu haben. So habe ich bereits eine monatliche Routine für die Flut an Kinderfotos auf unseren Handys, damit ich im November für das jährliche Fotobuch gut vorbereitet bin. Kleidung sortieren wir ebenfalls regelmäßig aus, sodass die Kinder eigentlich nie Stücke im Schrank liegen haben, aus denen sie herausgewachsen sind.
Kurze Kritik am Minimalismus-Trend
Ich möchte zum Abschluss den Blogartikel von Celsy empfehlen, die sich in ihrem Artikel Armut ist kein Privileg. Dein Minimalismus schon kritisch damit auseinandersetzt, dass Minimalismus für die einen ein moderner Lebensstil ist, für andere aber bitterer Alltag. Wer sich aufgrund von Armut nichts leisten kann, kann nur zynisch über die lachen, die sich nichts leisten wollen.
Ausmisten ist ein heikles Thema. Ein Beispiel: Die verstaubten und viel zu großen Inliner, die letzten Sommer am Straßenrand in einer dieser zu verschenken Kisten lagen, können die einzige Chance sein, die ein Kind hat, um das Fahren damit zu lernen. Da überlegt man sich gründlich, ob man sie wegwirft oder aufhebt.
Auch meine Familie war einmal in der Situation, über jede Kiste gespendeter Kinderkleidung heilfroh zu sein. Die Kisten haben sich gestapelt, denn lieber haben wir alles genommen, was angeboten wurde, als irgendwann ein Kind ohne Badeanzug oder Winterjacke losschicken zu müssen. Natürlich sind solche Berge von Dingen nicht schön anzusehen. Und sie lassen sich auch kaum stylisch in Szene setzen. Doch sie sind manchmal eben notwendig um wenigstens ein paar Optionen offenzuhalten.
Ich möchte niemandem die Lust am Aussortieren verderben, aber ich denke es schadet nicht, sich ab uns zu über die eigenen Priviligien Gedanken zu machen und sich bewusst zu werden, dass die eigene Lebensrealität nur die eigene ist – und keinesfalls verallgemeinert werden kann.
"Familie minimalistisch" kaufen
Das Buch Familie minimalistisch von Nicole Weiß ist im Humboldt Verlag erschienen und kostet 19,99 €. Ich danke dem Verlag für die Bereitstellung eines kostenfreien Rezensionsexemplars.
Die Autorin Nicole Weiß hat einen Blog, in dem Sie darüber schreibt, wie ein Familienleben ohne chaotisches Gerümpel gestaltet werden kann. Besucht ihre Seite Familie Ordentlich.
Dir hat dieser Artikel gefallen? Dann abonniere meinen Newsletter.