Ich werde nicht müde, es zu betonen: Wir leben in einer sehr privilegierten Situation. Mein Mann und ich arbeiten beide im Stadtgebiet von Augsburg in Fahrradnähe zu unserer Wohnung und haben auch eine Kinderbetreuungseinrichtung für Kindergarten- und Hortkinder einen Steinwurf entfernt.
Wir brauchen für unseren Alltag kein Auto. Trotzdem hat es mehrere Jahre gedauert, bis wir das verstanden haben. Einfach deshalb, weil es für uns normal war, ein Auto zu besitzen. Erst als der TÜV fällig, das Fahrzeug für unsere Bedürfnisse zu klein wurde und dann auch noch die Möglichkeit des Jobrad-Leasings dazukam, kamen wir auf die Idee, es ohne Auto zu versuchen.
Nach einer Phase der Euphorie wurde es zunächst anstrengend und zwischendurch haben wir uns auch ein bisschen verrannt. Diese eine Reise mit dem Zug war schlecht geplant und hat nicht zu unseren Bedürfnissen als Familie gepasst. Doch dann, nach etwa neun Monaten flutschte es plötzlich.
Autofrei ist für uns Normalität
Unseren Alltag, also die Arbeitswege und die täglichen Besorgungen, bestreiten wir komplett autofrei. Wir nutzen die Räder oder gehen zu Fuß. Die öffentlichen Verkehrsmittel benötigen wir nur selten.
Wenn wir ein Auto ausleihen, dann sind es immer die besonderen Situationen: Der Besuch bei Oma, die außerhalb des ÖPNV-Netzes wohnt; der Ausflug zur Tante, bei dem wir nach dem Abendessen keine Zugverbindung mehr zurück nach Hause bekommen; die Fahrt zum Baumarkt, wenn wir Sand und Blumenerde für den Garten brauchen. Diese Ereignisse planen wir so weit voraus, dass wir stets freie Fahrzeuge zur Verfügung haben und auch in 99% der Fälle unser Lieblingsauto buchen können.
Besondere Situationen
In den vergangenen zwei Jahren ohne Auto haben wir ein mal ein Taxi benötigt. Im Kindergarten gab es einen Unfall und ich musste mit dem Kind ins Krankenhaus. Die Fahrt dorthin wurde im Krankenwagen gemacht. Auf dem Rückweg habe ich mir und dem Sohn ein Taxi gegönnt. Bei einem kleineren Problem, bei dem kein Notarzt nötig ist, würden wir vermutlich wieder mit dem Taxi fahren. Das hat dann auch den Vorteil, dass man sich besser um das verletzte Kind kümmern kann, als wenn man selbst am Steuer sitzt.
Unsere alte Waschmaschine hat zum Glück ein Nachbar zum Schrottplatz gebracht. Der hatte zufälligerweise ohnehin eine Fahrt geplant und so war es für ihn kein großer Unterschied, ein Teil mehr mitzunehmen. Auch hier hatten wir natürlich großes Glück. Es hat sich in der Vergangenheit schon oft bewährt, mit den Nachbarn zu quatschen und sich darüber auszutauschen, wer was wann wie macht. Die WhatsApp-Gruppe mit allen Anwohnern des Hauses ist da übrigens auch sehr hilfreich.
Die wichtigste Anschaffung
Ich liebe den faltbaren Leiterwagen von Fuxtec. Das war eine der besten Anschaffungen in der Zeit ohne Auto. Nachdem wir das Lastenrad angeschafft hatten, hielt mein Mann all unsere Probleme für gelöst und wunderte sich, warum ich so ein sperriges Teil haben wollte. Doch nach einem knappen Jahr können wir uns den Leiterwagen nicht mehr wegdenken.
Der nächstgelegene Supermarkt ist so nah bei uns, dass man länger braucht, das Lastenrad zu starten und zu parken, als für die Fahrtstrecke an sich. Außerdem ist die Box am Lastenrad als Kindersitz geplant und nicht als Ladefläche. Das merkt man zum Beispiel daran, dass Getränkekästen nicht hineinpassen. Außerdem drückt die Ladung von innen an die Plexiglastür, was bei holprigen Strecken auf Dauer nicht gut ist für die Türverriegelung. Deshalb nehmen wir für den Wocheneinkauf gern den Leiterwagen. Und auch sonst hat er sich bei Ausflügen bewährt.
Der wichtigste Einsatz für unseren Leiterwagen ist aber der Transport der Kindersitze zum Carsharing Auto. Unser jüngstes Kind ist noch in einem Alter, indem ein großer Kindersitz mit 5-Punkt-Gurt benötigt wird. Das ist ein echtes Monster. Auch wenn das Carsharing Auto eigentlich direkt um die Ecke steht, ist das zu weit, um den Kindersitz zu tragen (und gleichzeitig anderes Gepäck mitzunehmen und darauf zu achten, dass keines der Kinder auf die Straße läuft). Wir verpacken also den Kindersitz im Leiterwagen, setzen das kleine Kind darauf und das große Kind läuft oder quetscht sich auch noch mit rein. Großer Vorteil: Die Kinder bleiben so lange im Wagen sitzen, bis ich das Auto entriegelt habe und alles bereit ist zum Einsteigen. Das ist für mich auf einem großen Parkplatz wesentlich sicherer, als wenn zwei Kinder selbständig ums Auto herumwuseln...
Unser Fazit nach knapp zwei Jahren Autofrei
Wir sind glücklich, weil wir für uns eine Mobilitätslösung gefunden haben, die passt. Wir investieren in ein Lastenrad, kaufen hochwertige Regenbekleidung, Schutzhelme und haben gute Rucksäcke. Kostengünstiger als mit einem (abbezahlten) Auto ist unsere Mobilität nicht. Klar, es ist nett, dass man im Januar weder Steuer noch Versicherung bezahlen muss. Aber dafür fallen eben einzelne Fahrten stärker ins Gewicht.
Für uns zählt die Lebensqualität aber ohnehin weit mehr. Wir fühlen uns gut, sind viel draußen und entdecken mit den Kindern die Stadt und unser Viertel. Die größte Erleichterung ist aber, dass viele kleine und große Sorgen wegfallen. Ich denke da spontan an Winterreifen, Reparaturen und an die Parkplatzsuche. Täglich beobachten wir am Gartenzaun den Kampf der Anwohner um die Stellplätze. Dieses Spiel spielen wir nicht mehr mit. Und das hebt die Laune jeden einzelnen Tag.
Weiterführende Links
- Auf Facebook habe ich unseren Alltag als autofreie Familie dokumentiert (Link zum öffentlichen Fotoalbum)
- Familie Autofrei - Folge 1 (Wir verkaufen unser Auto)
- Familie Autofrei - Folge 2 (Carsharing)
- Familie Autofrei - Folge 3 (Lastenrad)